Sommersession 2023 des Nationalrats – Sessionsrückblick von David Zuberbühler
In Bern traf sich das Parlament vom 30. Mai bis 16. Juni zur Sommersession. Autobahnausbau, Panzerverkauf, Abschaffung des Eigenmietwerts etc.: National- und Ständerat debattierten in der vorletzten Session vor den Wahlen über zahlreiche spannende Themen.
Autobahnausbau
Der Nationalrat stimmte dem Zahlungsrahmen von 8,8 Milliarden Franken für den Unterhalt und Betrieb der Nationalstrassen für die Periode 2024 bis 2027 zu. Laut den Verkehrsprognosen des Bundes werden bis 2040 rund 20 Prozent des schweizerischen Nationalstrassennetzes regelmässig überlastet sein, falls keine Gegenmassnahmen getroffen werden. Deshalb sind weitere 4 Milliarden Franken für den Ausbauschritt 2023 beantragt. Darin sind mehrere Engpassbeseitigungen beim bestehenden Nationalstrassennetz enthalten. Stimmt auch der Ständerat der Vorlage zu, erhält der Rosenbergtunnel der Stadtautobahn St. Gallen eine dritte Röhre. Der Zubringer Appenzellerland (N25) war noch kein Bestandteil der Vorlage. Der Bundesrat hat im Februar entschieden (u.a. auf Druck der Appenzeller Parlamentarier), zuerst eine Korridorstudie im Rahmen des strategischen Entwicklungsprogramms Nationalstrassen durchzuführen. Gemäss Zeitplan soll bis Ende Mai 2024 Klarheit über einen allfälligen Ausbau der N25 bestehen.
Panzerverkauf
Der Nationalrat will 25 stillgelegte Leopard-2-Kampfpanzer der Schweizer Armee ausmustern. Er beschloss dies mit 132 zu 59 Stimmen gegen den Willen der SVP-Fraktion und einzelner FDP-Mitglieder. Beantragt hatte die Ausmusterung eine Mehrheit der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates. Der Bundesrat war einverstanden und rechnete vor, dass der Bedarf der Schweiz trotz Verkauf gedeckt sei. Ich bin alles andere als dieser Meinung und habe mich im Rat gegen die Ausserdienststellung gewehrt. Der brutale Krieg in der Ukraine zeigt schliesslich beispielhaft, dass Kriege nicht ausschliesslich im Cyberraum, sondern immer auch auf dem Boden ausgetragen werden. Daraus müsste eigentlich die Erkenntnis gewonnen werden, dass die Armee sowohl personell als auch materiell zu stärken ist. Nun ist es aber so, dass wir nicht wissen, wie die Armee von morgen aussieht. Wir wissen vor allem nicht, wie die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz angesichts der Rückkehr zu bewaffneten Konflikten wie dem Ukraine-Krieg gestärkt werden kann. Solange keine aktuelle Verteidigungsdoktrin existiert und solange die Offiziersgesellschaft der Panzertruppen – also die Profis – zum Schluss kommt, dass für eine effektive Landesverteidigung mindestens 300 solcher Kampfpanzer benötigt werden, halte ich den Entscheid des Nationalrats als für verfrüht. Bleibt zu hoffen, dass der Ständerat diesen Entscheid im Herbst korrigiert!
Eigenmietwert
Nachdem der Ständerat den Eigenmietwert nur auf selbstbewohntes Wohneigentum abschaffen wollte, entschied der Nationalrat, die Abschaffung des Eigenmietwertes auch auf Zweitliegenschaften auszudehnen. Wer ein Haus oder eine Zweitliegenschaft besitzt, soll künftig beim Ausfüllen der Steuererklärung den Eigenmietwert nicht mehr angeben müssen. Damit die Vorlage möglichst haushaltsneutral ist, sollen mit der Abschaffung des Eigenmietwerts auch die bisherigen Abzugsmöglichkeiten bei der Bundessteuer weitgehend gestrichen werden. Der Nationalrat möchte nur unter bestimmten Bedingungen weiterhin Abzüge für denkmalpflegerische Arbeiten zulassen. Die grosse Kammer nahm die Vorlage mit 109 zu 75 Stimmen bei 8 Enthaltungen in der Gesamtabstimmung an. Die Abschaffung des Eigenmietwerts ist ein Dauerbrenner und umstritten. Schon zweimal scheiterten Vorlagen dazu an der Urne und schon mehrmals im Parlament. Das Geschäft geht zurück an den Ständerat.
Energieanlagen
Der Nationalrat will Schweizer Firmen vor ausländischem Zugriff schützen. Konkret ging es um strategische Infrastrukturen der Energiewirtschaft. Schweizer Wasser- und Atomkraftwerke sowie Strom- und Gasnetze sollen nur unter eng definierten Bedingungen ins Ausland verkauft werden dürfen. Wohl auch deshalb, weil sich chinesische Investoren in der Schweiz breit machen, sprach sich der Nationalrat mit 120 zu 72 Stimmen bei einer Enthaltung für eine Änderung der «Lex Koller» aus. Hinter die Vorlage stellte sich eine Allianz von SVP, SP und Grünen. Die Vorlage geht nun an den Ständerat.
Stimmrechtsalter 16
Der Nationalrat will 16- und 17-Jährigen das aktive Wahl- und Stimmrecht einräumen. Er hat beschlossen, die Arbeiten an diesem Projekt fortzusetzen. Die Staatspolitische Kommission muss nun eine Vorlage ausarbeiten, obwohl deren Mehrheit gegen das Stimmrechtsalter 16 ist. Der Entscheid in der grossen Kammer fiel äussert knapp, mit 98 zu 93 Stimmen. Für die Senkung des Stimmrechtsalters von 18 auf 16 Jahre votierten die SP, die Grünen, die GLP und ein Teil der Mitte, gegen die Vorlage der andere Teil der Mitte sowie die FDP und SVP. Für die vorberatende Staatspolitische Kommission war vor allem entscheidend, dass sich die Mehrheit der Kantone gegen die Vorlage ausgesprochen hatte. Zudem ist in mehreren Kantonen in den vergangen Jahren eine Senkung an der Urne gescheitert. Einzig Glarus kennt das Stimmrechtsalter 16.
Staatsfinanzen
Die Staatsrechnung 2022 des Bundes ist eine historisch schlechte. Erstmals seit 2005 hat der Bund das vergangene Jahr mit einem höheren Defizit abgeschlossen, als es konjunkturell zulässig wäre. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Ein Grund waren deutlich tiefere Einnahmen aus der Verrechnungssteuer. Die wirtschaftliche Entwicklung war zudem weniger dynamisch als im Voranschlag erwartet. Gleichzeitig stiegen die Ausgaben unter Ausklammerung der Corona-Massnahmen gegenüber dem Vorjahr erheblich an, insbesondere wegen Mehrausgaben im Bereich der sozialen Wohlfahrt: plus 1,5 Milliarden Franken bei Migration, AHV und IV. Im ordentlichen Haushalt konnte die bewährte Schuldenbremse bei Weitem nicht eingehalten werden. Ohne die Zusatzausschüttung der Nationalbank im Umfang von 1,3 Milliarden Franken stünde die Schweiz noch deutlich schlechter da. Infolgedessen stiegen die Bruttoschulden auf 120 Milliarden Franken an. Ein Hauptgrund für das heutige Defizit liegt in erster Linie in der grosszügigen und masslosen Ausgabenpolitik des Parlaments in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Insofern ist die Staatsrechnung 2022 ein Augenöffner. Das ständige Ausgabenwachstum in den letzten Jahren kommt nun als Bumerang zurück, und wir sehen, was passiert, wenn die Einnahmen im erwarteten Umfang fehlen.
Zum Schluss wünsche ich Ihnen, liebe Appenzellerinnen und Appenzeller, eine schöne Sommerpause mit strahlendem Sonnenschein, entspannenden Momenten und unvergesslichen Erlebnissen. Ob im Appenzellerland oder in der Ferne: Bleiben Sie gesund und alles Gute!
David Zuberbühler
Nationalrat AR